Nachdem wir in der letzten Folge dieser Reihe den Haslocher Pfarrer durch das erste Jahrzehnt der Reformation begleitet haben, gehen wir heute noch einige Jahre weiter zurück und einige Kilometer den Main hinauf. Nach Erich Langguth gab es in der Grafschaft neben den beiden Urpfarreien Kreuzwertheim und Reicholzheim seit dem 12. Jahrhundert noch die Pfarrei in Eichel als eigenständige Gründung des Wertheimer Grafenhauses. Kurz nach 1500 entbrannte zwischen zwei Klerikern ein Kampf um diese Pfarrei, der ein bezeichnendes Licht auf die kirchlichen Verhältnisse in den Jahren vor der Reformation zu werfen vermag. Die Kontrahenten: Michael Haas, ein Wertheimer Bürger, der in Würzburg ordiniert worden war, auf der einen, und Johannes Friedel, der Wertheimer Stadtpfarrer und Dekan des Wertheimer Chorstifts, auf der anderen Seite. Beide wollten die Einkünfte der Pfarrei Eichel einstreichen.
Während über Haas nichts weiter bekannt ist, sind wir über Johannes Friedel recht gut informiert. Er war einer der wichtigsten Wertheimer dieser Jahre. 1455 ist er als Student in Erfurt nachgewiesen, 1474 wird er Vikar am Chorstift und mit dessen Umwandlung in ein Kollegiatstift 1481 dort Chorherr. 1492 wird Friedel Stadtpfarrer und um 1494 Dekan des Chorstifts. Damit war Friedel nun der mächtigste Geistliche in der Grafschaft. 1497 erhielt er mit der Frühmesse Hasloch eine weitere Pfründe, die er kaum selbst versehen haben dürfte. Es war ein typisches und auch oft kritisiertes Phänomen der Zeit, dass Kleriker Pfründen ansammelten, ohne die damit verbundenen Tätigkeiten selbst ausüben zu können. Kirchenrechtlich war das eigentlich verboten (nemini conferantur duo vel plura officia incompatibilia heißt es bis heute im Corpus Iuris Canonici), von dem Verbot konnte aber durch einen – gebührenpflichtigen – Dispens abgesehen werden. Im Grunde geht es bei diesem Problem um das Verhältnis zwischen den Einkünften eines Amtes (beneficium) und den mit ihm verbundenen Aufgaben (officium), und es soll ja bis heute vorkommen, dass Leute Ämter innehaben, die sie nicht ausfüllen können. Im Streit der beiden Pfarrer behauptete damals jedenfalls Haas, Friedel habe drei nicht miteinander vereinbare Pfründen (tria incompatibilia), während Friedel in Sachen Hasloch und Eichel merkwürdig schwammig blieb und sich in Sachen Dekanat und Pfarrei mit einer unter schweren Kosten erlangten Erlaubnis des Papstes verteidigte, der zu Folge „die Pfarr zu Wertheim der Dechanei angehangen ist“ und als eine Pfründe betrachtet werden solle.
Wann genau Friedel den Anspruch auf die Pfarrei Eichel erhob, ist nicht bekannt. Das erste erhaltene Schriftstück in der Angelegenheit stammt aus dem Januar 1507 und es stammt gleich von der Kurie in Rom. Dort hatte Michael Haas gegen Johannes Friedel und Konrad Zetkuch geklagt, die ihm die Pfarre vorenthielten. Zwei Rechtsdoktoren und päpstliche Kommissare waren sich einig: Haas war rechtmäßiger Besitzer. Friedel appellierte gegen das Urteil, aber auch der nächste Richter entschied gegen ihn. In einer weiteren Klage forderte Haas an der Kurie nun die Umsetzung des Urteils und Schadensersatz. Mit Erfolg, er sollte 54 Gulden bekommen. Das Urteil wurde verkündet durch Anschlag an der Peterskirche, in der Stadt und an der Kurie zu Rom, an den Toren des Domes zu Würzburg und der Pfarrkirche zu Eichel. Dort stand dann, dass Friedel die Kirche Eichel innerhalb von sechs Tagen räumen sollte und innerhalb von 30 Tagen den Schadensersatz bezahlen. Bei Nichtbefolgung war die schwerste aller Strafen der Kirche angedroht: Exkommunikation, der Ausschluss von den Sakramenten – immerhin gegen den Dekan des Wertheimer Stifts und Wertheimer Stadtpfarrer.
Wir wollen kurz innehalten und uns vorstellen, dass nun in Rom, Würzburg und Eichel gleichlautende Urteile zur Besetzung der Pfarrei Eichel ausgehängt wurden. Diese Vorstellung hat zweifellos etwas Großartiges, weil weit Ausgreifendes. Das kleine Pfarrkirchlein St. Veit war direkt mit dem großen Rom verbunden. Allerdings liegen auch die Nachteile des Verfahrens auf der Hand. Rom war von Wertheim aus gesehen weit weg, die Durchführung solcher Prozesse kostspielig und zeitaufwändig. Ganz abgesehen von den Gebühren, die an die Kurie zu zahlen waren. Und woher wollte man dort überhaupt wissen, was in Eichel wirklich passiert war? Friedel behauptete, das Urteil beruhe auf falscher Kundschaft. Trotzdem zeigte er sich in der Sache nachgiebig. Friedel schrieb, er sei es zufrieden, wenn Haas nun die Pfarrei Eichel in Besitz nehme, er selbst sei aber nie in ihrem Besitz gewesen und könne nun den jetzigen Nutznießer Pfarrer Zetkuch nicht ohne ausdrücklichen Befehl der Kartäuser und der Grafen von Wertheim absetzen. Weiter schlug der Dekan vor, Graf Michael möge zur Entscheidung die hochgelehrten Herren der Hohen Schule Heidelberg anrufen.
Soweit man sehen kann, tat sich erst mal nichts. Im Oktober 1507 beantragte der Anwalt von Haas in Rom, die Strafen zu realisieren. Der Vertreter Friedels erschien trotz Ladung nicht. Die Strafen wurden nun verhängt, die Geistlichkeit sollte sie öffentlich bekannt machen. Damit war Johannes Friedel exkommuniziert und die Pfarrkirche Eichel dem Interdikt verfallen.
Was mag dies nun konkret bedeutet haben? Ließ Friedel nun sein Amt als Dekan ruhen und feierte keine Messen? Wurde die Exkommunikation des Dekans von den Kanzeln der Diözese Würzburg verkündet? Wir wissen nicht, wie weit der Arm der Kurie tatsächlich reichte. Irgendwelche Tätigkeiten Friedels aus dieser Zeit sind nicht nachweisbar. Vermutlich wird es einige Zeit gedauert haben, bis das römische Urteil offiziell in Wertheim ankam. Und dann dauerte es nicht mehr allzu lange, bis Dekan Friedel reagierte: Im Januar des Jahres 1509 unterwarf er sich in Würzburg und bat um Absolution. Der Generalvikar erteilte sie. Im Mai 1509 wurde die Absolution aus Rom bestätigt und der Pfarrort Eichel aus dem Interdikt gelöst. Die Geistlichen der Diözese Würzburg wurden angewiesen, dies im Gottesdienst bekannt zu geben. Umgesetzt wurde das Urteil auch: 1510 erscheint Michael Haas in den Quellen als Pfarrer in Eichel. Pfarrer Konrad Zetkuch, der wohl für Friedel die Arbeit vor Ort gemacht hatte, erhielt übrigens 1509 die Pfarrei Urphar.
Dekan Johannes Friedel war also durch Urteile der Kurie im Streit um den Besitz der Pfründe Eichel unterlegen. Weiter geschadet hat ihm die Sache offenbar nicht: 1512 erhielt er eine Urkunde zum Jubiläum seiner Dekanswürde, die ihn von den meisten Pflichten eines Chorherrn befreite. Damals muss er schon in seinen Siebzigern gewesen sein. 1513 zog er sich als Dekan zurück, 1520 starb Johannes Friedel. Die Anfänge der Reformation in Wertheim hat Johannes Friedel also nicht mehr erlebt.
Druck: Fränkische Nachrichten 1.4.2011