Im Jahr 1517 veröffentlichte der Augustinermönch Martin Luther seine Thesen. Dieses Ereignis wurde zum Ausgangspunkt jenes Geschehens, das als Reformation nicht nur das kirchliche Leben, sondern auch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation vollständig umkrempelte. Der Konflikt Luthers mit der katholischen Kirche führte 1520 zum Kirchenbann, dem ein Jahr später in Worms die Reichsacht folgte. Der Wertheimer Graf Georg II. stand den Anliegen des Reformators von Anfang an aufgeschlossen gegenüber.
Was bedeutete diese Haltung des Grafen, und was bedeutete die Reformation selbst für die Geistlichen in der Grafschaft Wertheim? Wir wollen diese Frage anhand von Konrad Zimmer aus Freudenberg verfolgen. Zimmer war Pfarrer, über seine Ausbildung wissen wir leider nichts. 1521, also im Jahr des Wormser Edikts gegen Luther, erhielt er die Frühmesse in Hasloch. Der Kirchenmann wird sich gefreut haben, hatte er doch nun eine Pfründe. Für diese Einkünfte musste er morgens in Hasloch die Messe zelebrieren. Groß waren die Einkünfte nicht, Zimmer spricht selbst von einem „mühselig Einkommen“. Kleine Pfründen, von denen man kaum existieren konnte, waren damals keine Seltenheit. Das materielle Elend gerade der Vikare, die an einer größeren Kirche nur für einen einzelnen Altar angestellt waren, wurde häufig beklagt. Zimmer versah nun jedenfalls, darauf sei noch einmal extra hingewiesen, in Hasloch die Frühmesse als katholischer Priester und nach katholischem Ritus. 1521 gibt es noch keine Belege, dass die reformatorischen Bestrebungen (Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, deutsche Sprache) in den Gemeinden der Grafschaft Wertheim angekommen wären. Der erste Aufenthalt eines evangelischen Predigers in Wertheim ist erst aus dem Jahr 1522 bekannt.
1523 berief Graf Georg den reformatorischen Prediger Franz Kolb nach Wertheim. Aus dem Oktober dieses Jahres ist ein Hinweis überliefert, dass in Wertheim das Abendmahl in beiderlei Gestalt gefeiert wurde – im Sinne Luthers also. Dies war im Jahr 1523 aber die Ausnahme und nicht die Regel in der Grafschaft, wie eine Versammlung der Geistlichen im Jahr darauf zeigt. Graf Georg rief damals die Wertheimer Geistlichen, die Landpfarrer und die Vertreter der Klöster Bronnbach, Holzkirchen und Grünau zusammen, um über die reformatorischen Bestrebungen beraten zu lassen. Ergebnis: Die meisten Geistlichen wollten bei der alten Ordnung bleiben. Manche machten die Einschränkung, sie würden sich den Entscheidungen eines großen Konzils anschließen. Auch Konrad Zimmer dürfte bei dieser Versammlung dabei gewesen sein. Die Quelle hält fest, der Haslocher habe sich als „ungelehrter Hirte“ bezeichnet, der sich gerne wolle weisen lassen, falls er geirrt habe. Da klingt bereits eine gewisse Aufgeschlossenheit für die neue Lehre durch – man könnte es auch Unsicherheit nennen, mit der der unstudierte Mann auf die gelehrten Debatten reagierte, die sein Landesherr initiiert hatte.
Graf Georg beeindruckte die Meinung seiner Geistlichen wenig. Im Herbst 1524 ließ er für ein Treffen der fränkischen Herren eine Stellungnahme formulieren, die sich eindeutig für die Ziele der Reformation aussprach, und 1525 wurde mit Johann Eberlin von Günzburg ein von Luther empfohlener Prediger nach Wertheim berufen.
Was bedeutete all dies nun für Konrad Zimmer? Mit der Frühmesse in Hasloch war er nicht zufrieden, vermutlich war die Bezahlung einfach zu schlecht. 1528 gab er die Stelle auf. Eberlin holte Zimmer nach Wertheim, wo er Lehrer an der deutschen Schule wurde und zugleich als Kaplan diente. Das Geld dafür stammte aus einer Pfründe des Wertheimer Chorstifts. Dieses Kollegium von Geistlichen, deren Hauptaufgabe die Feier der Gottesdienste an der Stiftskirche war, befand sich damals in einem Wandel, der mit seiner Auflösung endete – drei seiner Mitglieder schlossen sich der Reformation an und übernahmen Pfarrstellen in der Grafschaft. Graf Georg nutzte später das Vermögen des Chorstifts für die Pfarr- und Lehrerstellen in der Grafschaft. Dass Konrad Zimmer als Lehrer an der deutschen Schule 1528 aus diesen Mitteln bezahlt wurde, zeigt die Richtung, die die Entwicklung nehmen sollte. Zimmer jedenfalls war 1528 zugesagt worden, stets soviel Einkommen zu erhalten, „als eine Chorherren-Pfründe im Stift zu Wertheim hat, nicht die ärgste und nicht die beste“.
Diese Zusicherung war zwar vor Zeugen erfolgt, aber Zimmer hatte sie nicht schriftlich. Ein Jahr später erinnerte er Graf Georg daher an das gegebene Versprechen. Aus gutem Grund: Konrad Zimmer wollte heiraten. Mit der Heirat vollzog er nun offenkundig die Abkehr von der römischen Kirche. Dabei legalisierte er lediglich ein schon bestehendes Verhältnis, aus dem bereits zwei Kinder hervorgegangen waren. Wann und wie er das Messehalten nach katholischem Ritus aufgab, wissen wir wiederum nicht.
1530 ging er als Gemeindepfarrer zurück nach Hasloch. Als Graf Georg im selben Jahr starb, nahm Zimmer an seinem Leichenbegängnis teil. Im Jahr darauf verfasste er eine Eingabe an die Herrschaft, in der es um seine Bezahlung ging. Die war nämlich derart mager, dass er von ihr kaum zu existieren vermochte. Die Lage in Hasloch war ernst: Das Pfarrhaus unbewohnbar, in der Kirche kaum noch Gebühren wie früher, das kostenlose Essen mit den Mönchen in der Kartause fiel weg und überhaupt knauserten die Kartäuser mit den Abgaben, die sie dem Pfarrer schuldeten. Zimmer vermutete: „vielleicht die Ursach ich bin nit irer Secte“. Neben den im Vergleich zu früher geringeren Einnahmen hatte Zimmer noch ein weiteres Problem, und zwar auf der Seite der Ausgaben: Um seinen Tisch hockten nun schon sechs Mäuler, die er zu stopfen hatte.
Wie sollte das gehen? Und so folgt die eindringliche Bitte, die Obrigkeit möge halten, was ihm einst der verstorbene Graf Georg zugesagt hatte, „die weil ich seins Willens und Befehls nachgelebt und gefolgt hab und mich unter das Evangelium ergeben und zu ehelichem Stand gegriffen hab.“ Wenn man ihm nicht helfe, werde er noch zum Gespött der Papisten.
Dies ist die letzte bekannte Nachricht aus dem Leben dieses Pfarrers zwischen Hasloch und Wertheim und zwischen katholischem und evangelischem Bekenntnis. Über seine Motive, sich der Reformation anzuschließen, können wir letztlich wenig sagen. Zimmers Briefe machen aber eines ganz deutlich: Die Abhängigkeit der Pfarrer von der Stelle, die sie bezahlte, war nicht geringer geworden.
Druck: Fränkische Nachrichten 11.3.2011