Nachdem diese kleine Serie zur Geschichte der Grafschaft Wertheim zuletzt von Höhefeld gehandelt hat, bleibt sie mit Vockenrot auch heute auf der Höhe. Wie hoch Vockenrot liegt, erkennt man schon daran, dass es beständig bergab geht, will man von dort nach Wertheim hinein. Hätten die Vockenröter eine eigene Burg, würde diese die Wertheimer um Längen überragen. Nur leider haben sie keine. In den Zeiten der Grafschaft Wertheim belegte Vockenrot in den Einwohner- und Steuerverzeichnissen der Ortschaften zuverlässig den letzten Platz. 1618 zählte man zwölf Haushalte, 1621 waren es 45 Personen (neun Männer, zwölf Frauen, vierzehn Töchter und zehn Knaben), 1677 gab es acht Haushalte und 1724 hatten die Grafen von Wertheim im Ort 23 Leibeigene, was der Zahl der Erwachsenen entsprochen haben dürfte. In Vockenrot war man also über die Jahrzehnte klein und arm, aber man blieb stabil. Und es gab einmal eine Zeit, in der Vockenrot nicht nur über eigene Adelige verfügte, sondern die Wertheimer zum Feiern die Steige hochmarschierten.
Schon seit dem Mittelalter gab es im Ort Dienstleute der Wertheimer Grafen, die sich Klinkhart von Vockenrot nannten. 1382 erhielt ein Edelknecht Hans Klinkhart mit Wohnsitz noch in Wertheim die Zustimmung seines Herren, des Grafen von Wertheim, für eine Zuwendung von 300 Gulden an seine Ehefrau Else von Sachsenflur anlässlich ihrer Hochzeit. Später erhielten die Klinkharte dann Hof und Gericht in Vockenrot sowie Teile des Zehnten und weitere Rechte. Über gut zwei Jahrhunderte wurden diese Rechte als Wertheimer Lehen in der Familie Klinkhart weitergegeben oder „auferstorben“, wie man damals sagte.
Etwa um das Jahr 1520 muss ein Ehevertrag entstanden sein, den Hans Klinkhart mit Dorothea von Adelsheim abschloss. 1000 Gulden sollte Dorothea in die Ehe mitbringen, und Graf Georg von Wertheim bestätigte den Vertrag. Klinkhart konnte das Geld wohl gut gebrauchen. 1524 forderte Anna von Bobenhausen Geld von ihm. Klinkhart antwortete: „Liebe Base, Euer Schreiben mir gethan hab ich verlesen und laß euch wissen, daß ich zu diesem Mal kein Gelt hab ... .“
Kein Geld zu haben, das war schon wenig erfreulich, aber einige Jahre später wurde dieser Klinkhart in eine noch viel unschönere Geschichte verwickelt. Einen Mord oder Totschlag nämlich, begangen von ihm selbst. Die Sache passierte nach Auskunft der Quellen auf der Vockenroter Kirchweih. Das ist eigenartig, denn in Vockenrot gab es nach bisherigem Kenntnisstand nicht einmal eine Kapelle. Aber eine Kirchweih ohne Kirche, wie wäre das möglich? Vielleicht liegt eine Erklärung darin, dass „Kirchweih“ auch einfach Ortsfest oder einfach irgendeine Form von Lustbarkeit bedeuten könnte. Selbst dann bliebe die Sache aber bemerkenswert, weil in der Grafschaft in diesen Jahren sämtliche Kirchweihen und Lustbarkeiten untersagt waren. Ja, Graf Georg hatte seinen Untertanen 1525 sogar den Besuch auswärtiger Kirchweihen untersagt. All diese Verbote hinderten die Wertheimer aber offenbar nicht daran, sich mit Hellebarden zu Tanz und Geschrei auf den Weg nach Vockenrot zu machen. Vielleicht dachten sie auch, die Herrschaft in Wertheim würde wegen der Höhenlage nichts davon mitbekommen.
Was dort schließlich geschah schildert Klinkharts Frau, die schon erwähnte Dorothea, wie folgt: In Vockenrot gibt es einen Tanz. Gegen das Verbot des Wertheimer Grafen gehen die Fischer und andere Knechte aus Wertheim mit Hellebarden und Spießen dorthin. Als es dunkel wird, erhebt sich ein Geschrei. Klinkhart gebietet Ruhe, man soll keinen Hader anfangen. Keine Reaktion. Er gebietet erneut als Dorfjunker Frieden. Nichts. Er gebietet im Namen der Herrschaft Frieden. Er geht ins Haus des Schultheißen. Die Gesellen überfallen seinen Knecht, schlagen, hauen und stechen ihn bis auf den Tod. Klinkhart rennt vors Haus, will seinem Knecht helfen. Da passiert das Unglück: Aus Klinkharts Waffe löst sich ein Schuss, einer bleibt tot.
Seine Frau hält die Sache für einen Unfall. Dorothea ist sich sicher, dass die Wahrheit ans Licht kommen wird. Klinkhart hat nichts zu verbergen. Er will zu ausführlicher Aussage und Verhör nach Wertheim kommen. Dafür bittet sie für ihn um Sicherheit und freies Geleit. Der Dorfjunker von Vockenrot war also trotz seiner Tat noch in Freiheit.
Wie so häufig ist aus den Akten nicht zu ersehen, wie die Sache ausgegangen ist. Gräfin Barbara, die damals als Mutter des unmündigen Michael die Grafschaft Wertheim lenkte und von Dorothea Klinkhart als „Regiererin“ angesprochen wurde, drang wohl auf einen Vergleich zwischen Klinkhart und der Familie des Opfers. So konnte das damals gehen: Akzeptierte die geschädigte Familie eine Sühne des Täters, betrachtete man die Sache als aus der Welt geschafft. Im März des folgenden Jahres war man aber so weit noch nicht. Als Klinkhart in einem Brief um freies Geleit bat, um in Wertheim seine Lehen bestätigen zu lassen, notierte man in Wertheim außen auf dem Brief: „Hatt einen ermordet“.
Druck: Fränkische Nachrichten 11.11.2010