1602 muss es zwischen Stiftskirche und Kilianskapelle übel gestunken haben. Ein Strom aus Abwässern samt Fäkalien bahnte sich dort seinen Weg und schwappte weiter bis auf den Marktplatz. Übeltäter waren Valentin Ries, Johann Hoffmann und Ambrosius von der Heid, von deren Häusern die Brühe ihren Anfang nahm. Graf Ludwig zu Löwenstein stank die Sache. Er ließ die Hausbesitzer anweisen, Löcher und Rinnen unverzüglich zu vermauern, oder zumindest die Bahn des Abwassers in eine andere Richtung zu lenken. Und der Graf hatte an dieser ja durchaus zentralen Stelle der Stadt noch ein weiteres Problem. In der Kilianskapelle war nämlich die Lateinschule untergebracht, und deren Schüler nutzten den Platz zum Ballspiel, Steinewerfen und für „viehisches Geschrei“. Dieses Verhalten der „ungezogenen bösen Buben“ scheint uns besonders ungebührlich, wenn man weiß, dass der Platz neben der Kirche bis wenige Jahrzehnte zuvor als Friedhof genutzt worden war. Deshalb hieß er schlicht „Kirchhof“. Und dort spielten die Wertheimer Buben nun auf den Gebeinen mit schwerem Gebrülle Ball, während unter ihren Füßen die Jauche Richtung Marktplatz lief – keine schöne Vorstellung. Graf Ludwig erteilte jedenfalls dem Glöckner die Anweisung, die Buben gerechter Bestrafung zuzuführen.

Ob es damit ein wenig leiser wurde in der Stadt, wenigstens am Kirchhof zwischen Kilianskapelle und Stiftskirche? Dem Gestank dürfte jedenfalls damals kaum beizukommen gewesen sein. Ein Mosaikstein in Sachen Geruch waren die Schweine, die nicht nur vor, sondern auch in der Stadt lebten. 1621 stellte die Kanzlei fest, dass diese Schweine „den Untertanen in den Häusern allenthalben Schaden tun“, und befahl dem Spitze-Turm-Knecht, sie einzufangen. Jedenfalls entstand innerhalb der Stadtmauern allerlei an Abfall und Mist von Mensch und Tier, aber es gab weder Kanalisation noch Müllabfuhr. Korrekt wäre es nun gewesen, diesen Unrat wöchentlich hinauszuschaffen, so wie es der Büttner Konrad Fröhlich von sich behauptete, als er eine Strafe wegen des Mists vor seiner Tür bezahlen sollte. Wie kam der Mist dahin? Fröhlich war der Meinung, nicht er, sondern das „Bauersvolk“ sei schuld, das um ihn herum zur Miete wohnte.

Offenbar neigten die Wertheimer generell dazu, vor ihren Türen in der Gasse Misthaufen anzulegen. 1632, es waren Pestzeiten, befahl die Kanzlei den Bürgern, „ihre Misten“ wegzuschaffen. Ob solche Anordnungen etwas genutzt haben, ist immer schwer zu sagen. Etwa aus dem Jahr 1640 stammt jedenfalls eine Liste mit Bürgern, vor deren Haustür sich ein Misthaufen befand. An die 80 Namen stehen darauf, die Zahl der Wertheimer Misthaufen dürfte entsprechend gewesen sein.

Die Löwensteiner Grafen und ihre Verwaltung, die natürlich – das Wortspiel muss erlaubt sein – ihrerseits auch Mist produzierten, hatten ihren Mistplatz vor der Stadt. Die herrschaftliche „Mistblecken“ lag an der Stadtmauer am Main beim Vaitstor, also etwa dort, wo heute die Vaitsgasse auf die Packhofstraße trifft. Dieser herrschaftliche Mistplatz muss auf die Wertheimer anziehend gewirkt haben, denn mit der Zeit legten die Bürger eigene Misthaufen direkt daneben an. Eigentlich im Sinne der Herrschaft, sollte man meinen, denn schließlich lag der Mist dort außerhalb der Stadtmauern und der Gestank dürfte neben dem großen herrschaftlichen Haufen nicht weiter aufgefallen sein. Trotzdem wurden die Besitzer im Jahr 1614 aufgefordert, diese Haufen bei Strafe von zehn Gulden zu entfernen. Der Grund: Unerklärlicherweise wurde der herrschaftliche Haufen ständig kleiner, während der bürgerliche Mist stetig anwuchs. Dies war der Herrschaft aber ganz und gar nicht recht. Denn Mist, Abfall und Fäkalien stanken zwar zum Himmel, konnten aber auch wertvoll sein, wenn sie nämlich als Dünger in den Boden eingebracht wurden. Das Wort der Zeit dafür war „Besserung“. Was in und vor der Stadt stank, konnte auf dem Land den Boden verbessern.

Aus heutiger Sicht war es trotzdem eigenartig, diesen Wertstoff ausgerechnet am Mainufer mitten vor die Stadt ins Panorama zu setzen. Was sollten die Schiffstouristen denken? 1706 scheinen dies auch die Grafen erkannt zu haben, denn sie ließen vor dem Vaitstor anstelle der Mistblecken eine Reitbahn errichten. Deren Anblick erfreute nun fast das ganze 18. Jahrhundert lang die Mainreisenden und vermittelte ihnen gewiss einen höfischeren Eindruck von Wertheim, als die Misthaufen es getan hatten.

Nur im Jahr 1763 ereignete sich ein fataler Rückfall in alte Zeiten. Seinerzeit gehörte es zu den Aufgaben des Scharfrichters, die Gruben unter den „Privets“, also den Abtritten der Herrschaft zu entleeren und die Anlagen zu säubern. Allerdings: Auch dieser Mist hatte als Dung seinen Wert. Die Knechte des Scharfrichters waren daher dazu übergegangen, den Inhalt der Gruben am Ufer des Mains zusammenzuwerfen und ihn dort zum Verkauf liegen zu lassen. Im Mai wurde die Sache angezeigt. Ein „ganz unleidentlicher Gestank“ herrsche am Main, hieß es, außerdem drohte warme Witterung. Da gab es nur eine Lösung. Der Scharfrichter erhielt den Befehl, den ganzen Mist der Herrschaft sofort und ohne Verzögerung in den Main zu werfen. Stromabwärts wird man sich gefreut haben.

Druck: Fränkische Nachrichten 18.9.2010