Im September des Jahres 1629 klebte eines Morgens ein Zettel an der Wertheimer Stiftskirche. Das sind Zauberer, stand darauf, dann folgten die Namen Wertheimer Bürger. Die meisten von ihnen waren Männer wie Michael Stierlein, Balthasar Siegfried, Hans Schumacher, aber auch die Witwe von Michael Ries war darunter und die Ehepaare Hotz, Heim und Müller. Am Marktplatz fand sich ein weiterer Zettel. Man nannte diese Zettel auch Hexenzettel – wer darauf stand, der sollte hexen können.
Diese Beschuldigung war damals sehr gefährlich, denn wir befinden uns mitten in der letzten großen Hexenverfolgungswelle in Franken. Wir befinden uns auch im Dreißigjährigen Krieg, in einer Zeit der Pest und einer Kälte, die für Missernten sorgte. Es kam viel zusammen in diesen Jahren und die Menschen konnten sich all das Unglück nicht erklären. Es sei denn, mit Zauberei, und damit sind wir bei der Hexenverfolgung. Auch in Wertheim waren 1629 schon zehn Hexen und Hexer auf den Scheiterhaufen verbrannt worden. Unter ihnen der Metzger Hans Stark, ein vermögender Mann, der jahrelang den Hof der Grafen mit Fleisch versorgt hatte. Stark hatte 1628 unter seiner Fleischbank eine Schmähschrift gefunden: "Hans Stark bin ich genannt / zu Wertheim bin ich wol bekannt / ein Metzger bin ich / das Hexenwerk treib ich / ...". Er klagte gegen diese Beschuldigung als Beleidigung und Verleumdung, letztlich erfolglos. Im Mai 1629 wurde er zusammen mit seiner Mutter verbrannt.
Und nun also wieder Schreiben mit Hexerei-Bezichtigungen, öffentlich und mit Marktplatz und Kirche an zentralen Stellen in der Stadt angebracht, aber anonym. Es dauerte fünf Monate, bis man den Schreiber hatte. In den Akten findet sich ein Bekennerschreiben des Wertheimer Händlers Georg Kaltdorf. Er gab an, die Zettel aus gerechtem Eifer gegen das Laster der Zauberei angeklebt zu haben. Tatsächlich war Kaltdorf in Wertheim ein großer Vorkämpfer gegen das Hexenwesen. Schon im Dezember 1628 hatte er zu den Unterzeichnern eines Briefes an die Grafen gehört, in dem diese aufgefordert wurden, die Hexerei härter als bislang zu bekämpfen. Was dies hieß, musste jedem klar sein: Zur Erlangung von Geständnissen wurden die Verdächtigen gefoltert und unter der Folter nannten sie Namen weiterer Verdächtiger. So standen hinter jedem Scheiterhaufen schon die nächsten. Die Wertheimer Regierenden wussten dies. Graf Johann Dietrich hatte deshalb verlangt, die Denunzianten selbst zur Verantwortung zu ziehen.
Auch Georg Kaltdorf, der die Zettel verbreitet hatte, war ein Denunziant, wenn auch einer mit reinem Gewissen. Trotz seines reinen Gewissens floh er nach seinem Bekennerschreiben aus der Stadt. Seine Frau Dorothea schrieb an die Grafen, betonte die guten Absichten ihres Mannes und die schwierige Lage ihrer Kinder durch die Abwesenheit des Vaters. Kaltdorf hatte durchaus Sympathisanten unter den Grafen, Graf Ludwig soll sich ebenso für ihn ausgesprochen haben wie die Gräfin Walburga. Sie dürften die eigentliche Gefahr wie Kaltdorf im Treiben der Hexen gesehen haben und nicht in ihrer Verfolgung.
Trotzdem wurde Kaltdorf zunächst inhaftiert, als er Anfang April 1630 nach Wertheim zurück kam. Im Spitzen Turm saß er ein und wurde mehrfach verhört. Dabei gab er an, die Namen auf dem Zettel vom Glaser Michael Heffner gehabt zu haben, der sie wiederum von einem Barbier hatte. Auch Heffner hatte die Eingabe vom Dezember 1628 unterzeichnet, außerdem hatte er bei den Schmähschriften gegen Stark eine Rolle gespielt. Wie Kaltdorf war er ein Aktivist in Sachen Hexenbekämpfung. Kaltdorf hielt die Namensliste übrigens für nichts besonderes, in der Stadt sei sie allgemein bekannt gewesen, selbst Kinder hätten davon erzählt. Schließlich kam dieser Eiferer gegen die Hexen glimpflich davon: Im Juni wurde er aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen, im September 1630 auch der Hausarrest gegen Zahlung von 200 Gulden aufgehoben.
Übrigens wurde gegen keinen der auf dem Zettel Beschuldigten Anklage wegen Zauberei erhoben. Kaltdorfs öffentlicher Aushang hatte insofern keinen großen Schaden angerichtet. Aber sein Papier, das damals an der Stiftskirche klebte und bis heute in den Akten des Staatsarchivs Wertheim überdauert hat, ist für uns heute ein eigenartiges Relikt aus einer Zeit, in der jedermann in den Geruch der Hexerei geraten konnte.
Druck: Fränkische Nachrichten 15.9.2010