Als der Wertheimer Graf Michael die Gräfin Katharina von Stolberg-Königstein heiratete, hatte er wohl auch ihre Erbschaft im Blick. Denn Katharina hatte zwar Schwestern, aber keinen Bruder. Doch es kam anders. Nach dem überraschenden Tod Michaels 1556 wurde sein Schwiegervater Ludwig von Stolberg-Königstein Regent der Grafschaft Wertheim, und dessen Töchter konnten sich nun mit der Aussicht auf das Wertheimer Erbe schmücken.

Die mittlere, Elisabeth, heiratete einen Grafen von Manderscheid mit bedeutenden Besitzungen im Eifelraum. Auch Katharina heiratete wieder, einen Grafen von Eberstein. Die jüngste Schwester schließlich heiratete 1566 den Grafen Ludwig von Löwenstein.

Nach dem Tod des Stolbergers 1574 begannen die Schwiegersöhne eine gemeinsame Verwaltung der Grafschaft Wertheim, die natürlich auch ein Kampf ums Erbe war. Den glücklichen Ausgang hatte dabei der Löwensteiner für sich. Durch diese Verbindung traten die Löwensteiner schließlich das Erbe der Wertheimer an, das sie durch reichen Kindersegen (Anna brachte elf Kinder zur Welt) behaupten und bis heute fortsetzen konnten.

Ihre Schwester Katharina dagegen blieb kinderlos. Sie residierte meist in Remlingen, hatte aber auch in Wertheim einen Sitz im heutigen Rathaus. Ihre Geschäfte führte sie selbständig, nachdem Graf Eberstein psychisch erkrankt und entmündigt worden war.

Die mittlere Schwester, Elisabeth, trat in Wertheim am wenigsten in Erscheinung. Folgen vor Ort hatte ihre zweite Ehe, die sie mit Wilhelm von Kriechingen einging. Kriechingen versuchte, die Wertheimer Ansprüche seiner Frau durchzusetzen, wohnte zeitweise auf der Wertheimer Burg und verlangte von den Wertheimern, ihm zu huldigen. Man munkelte gar, er plane die Rückkehr der Grafschaft Wertheim zur katholischen Kirche. Erst der Tod von Wilhelm und Elisabeth erledigte dieses Problem.

Die jüngste der Stolberg-Schwestern Anna wurde also zur Mutter aller weiteren Löwensteiner und zur Herrin auf der Wertheimer Burg. Was weiß man über sie, von den elf Kindern einmal abgesehen? Leider führen die Tätigkeiten der Mütter meist nicht zu beschriebenem Papier. Deshalb schweigen dann auch die Archive. Bei Anna liegt der Fall etwas anders. Es gibt einige Quellen, die zeigen, was sie als Herrin auf der Burg gemacht hat.

Kaufmann Philipp Fleischmann

Der wichtigste Lieferant des Wertheimer Hofes im ausgehenden 16. Jahrhundert war der Kaufmann Philipp Fleischmann. Von ihm bezogen die Grafen außer Lebensmitteln nahezu alles, was auf der Burg gebraucht wurde. Für diese Einkäufe schickte die Burg jemanden mit einem Zettel zu Fleischmann, den dieser dann als Quittung beim Burgvogt hinterließ, wenn er bezahlt worden war. Und der Burgvogt hob die Belege auf, zum Beweis für sein ordentliches Wirtschaften.

Bei Fleischmann bestellte nicht nur der Burgvogt, sondern auch Graf Ludwig zu Löwenstein und sein Sohn Wolf Ernst. Ludwig schickte dem Kaufmann förmliche Briefe mit seinem Siegel darauf, während Wolf Ernsts Bestellungen häufig mit „Lieber Fleischmann …“ begannen. Graf Wolf Ernst kannte den Kaufmann unten in der Stadt also persönlich. Und auch seine Mutter, die Gräfin Anna, schickte Bestellungen in die Stadt. Sie begannen ebenfalls mit „Lieber Fleischmann“ – Philipp Fleischmann war für Gräfin Anna der Kaufmann, dem sie vertraute.

Was bestellte Gräfin Anna nun bei Fleischmann? Im Jahr 1594 orderte sie Nelken, Mandeln und Reis, im Dezember zwei Pfund Zwetschgen, im November Nürnberger Küchlein, also Lebkuchen. Außerdem große und kleine Rosinen, Muskat, Limonen, ein kleines Fass mit Kapern, frische Feigen und frische Pomeranzen (die „Frische“ war ihr wichtig, sie wurde eigens erwähnt). Alles Dinge, die mit der Ernährung der Burggesellschaft zu tun hatten, und hier eher mit den besonderen Dingen als mit der Alltagsnahrung. Heute würde man sagen, das Gebiet der Gräfin Anna waren Essen und Lifestyle auf der Burg.

Ein weiterer Bereich wird in einer Weisung Annas an den Burgvogt deutlich: Er soll die Tochter von Marlene Schuh für Hilfe beim Waschen bezahlen. Wäschewaschen war nun kein Lifestyle, gehörte aber wie das Essen auch in den Bereich der Hauswirtschaft. Wir haben hier schöne Hinweise, für was die Frauen auf der Burg damals zuständig waren (wenn sie nicht regieren mussten).

Kurz vor Annas Tod machte Graf Ludwig noch eine Bestellung für seine Frau bei Fleischmann. Seine liebe Frau könne wegen ihrer Schwachheit gar nichts anderes mehr zu sich nehmen als Pomeranzen, schrieb der Graf an den Kaufmann, und bestellte je ein Dutzend süße und saure Zitronen. Geholfen hat die Zitronendiät nicht. Gräfin Anna starb kurz nach der Bestellung am 22. Oktober 1599, nachdem sie drei Wochen gelegen hatte.

Philipp Fleischmann selbst starb drei Jahre später. Auswirkungen auf den Geschäftsverkehr mit der Burg hatte das zunächst nicht. Auch hier übernahm die Frau das Ruder im Laden, nachdem der Mann ausgefallen war. Seine Witwe betrieb den Laden mit ihren Kindern weiter.

Druck: Fränkische Nachrichten 12.2.2014