Im Jahr 1633, heute vor 380 Jahren, befand sich Wertheim mitten in einer Pestwelle. Nach Unterlagen von Erich Langguth starben in diesem Jahr etwa 150 Wertheimer – bei einer Einwohnerzahl von 2000 bis 2500 ein erheblicher Prozentsatz. Die Pest war eine Geißel der Menschheit. Der Erreger des „schwarzen Todes“ verursachte, einmal in der Blutbahn, Einblutungen ins Gewebe, aus denen die für die Krankheit typischen Flecken und Beulen entstanden. Eine grauenvolle Krankheit, die viele ihrer Opfer von Beulen bedeckt und Blut spuckend ins Jenseits beförderte. Die wichtigste Maßnahme gegen die Pest bestand auch in Wertheim darin, dass Infizierte das Haus nicht verlassen durften. Sie mussten in Quarantäne bleiben. Die Badestuben in der Stadt waren geschlossen. Die Pest war nicht nur häufig tödlich, sie war dies auch sehr schnell. Das machte Angst. Schon Giovanni Boccaccio, dessen „Decamerone“ bekanntlich als Sammlung von Erzählungen einer vor der Pest aus Florenz geflüchteten Gesellschaft entstand, hatte berichtet, manch einer speise und vergnüge sich munter im Kreis seiner Lieben, um sich 24 Stunden später in Gesellschaft seiner Vorfahren wiederzufinden. Das hieß: Alles kann im Nu vorbei sein, wenn die Pest kommt. Diese Plötzlichkeit, die kurze Inkubationszeit zwischen dem Auftreten der ersten Schwellungen an den Lymphknoten und dem Tod, machte die Pest so bedrohlich. 1633 waren Frau, Mutter und Bruder des Metzgers Kress an der Pest gestorben. Der Zöllner Friedrich Weimer hatte mit seiner Familie die Stadt verlassen und mit ihm vermutlich weitere Wertheimer Bürger, die es sich leisten konnten.
Die Pest in der Grafschaft Wertheim
Im Mittelalter hatte die Pest ganze Landstriche entvölkert. Auch im 16. und 17. Jahrhundert brach die Krankheit immer mal wieder an Main und Tauber aus und verbreitete Furcht und Schrecken. 1542 herrschten „Sterbensleufte“ in Breuberg und in Wertheim, 1554 wurde die Wertheimer Katharinenmesse wegen der Pest abgesagt. Die Absage von Messen und Jahrmärkten gehörte zum Standardrepertoire der Obrigkeiten. Denn so wenig man über die Übertragung im Einzelnen wusste, so früh hatte man festgestellt, dass die Epidemie auf irgendeine Art und Weise reiste. Die Pest breitete sich in Wellen aus, die aus der Fremde kamen. Deshalb galt es, Kontakt mit Fremden zu verhindern, wenn man den Ausbruch der Krankheit verhindern wollte, und auf Märkten kamen natürlich viele Fremde zusammen. 1574 grassierte die „böse Luft“ in Lengfurt, weshalb es Lengfurtern verboten wurde, Wertheim zu betreten. 1585 herrschte wieder auswärts die Pest, während in der Grafschaft die Weinlese begann. Deshalb erging eine Anweisung, keine Auswärtigen zur Weinlese einzusetzen. Und die Aufsicht an den Toren kam ihren Aufgaben nicht genügend nach. Kranke Personen („so mit dem Gift albereit beschmutzt“) waren in der Stadt gesichtet worden, deshalb sollten nun an den Toren extra Aufpasser eingesetzt werden. Ihre Aufgabe war, die Fremden als solche zu identifizieren und zu verhindern, dass sie die Stadt betraten. Nur noch solche Fremden hatten Zutritt, die nachweisen konnten, von keinem „infizierten pestilenzischen Ort“ nach Wertheim gereist zu sein. Niemand durfte Fremde aufnehmen oder beherbergen. Fremde, die zu Geschäften in die Stadt kommen wollten, sollten den Bürgermeistern gemeldet werden. Die Bürgermeister und nicht etwa ein Arzt entschieden dann auch, ob die Fremden Zutritt in Wertheim erhielten.
Mit den Maßnahmen gegen den Kontakt mit Fremden versuchten die Obrigkeiten, den Ausbruch der Krankheit in ihren eigenen Territorien zu verhindern. Der Erfolg war bescheiden. Die Pest war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an Main und Tauber als Bedrohungsszenario ständig präsent. 1597 wurden Pestfälle aus Würzburg, Frankfurt, Miltenberg, Laudenbach, Trennfurt und Heubach gemeldet. Wobei man die Einschränkung machen muss, dass es sich bei manchen Meldungen auch um andere Krankheiten gehandelt haben könnte, weil „Pest“ eben synonym für tödliche Krankheiten stand und die Quellen in aller Regel keine Symptome benennen. Das Ergebnis bleibt aber dasselbe: Das Leben der Menschen war bedroht, Krankheit und Tod waren allgegenwärtig.
Das Wertheimer Pestedikt von 1605
1605 kamen wieder Meldungen über Pestausbrüche aus Frankfurt, Hanau, Mainz, Aschaffenburg und Rothenburg ob der Tauber. Um Wertheim vor der Pest zu schützen, erließ Graf Ludwig zu Löwenstein ein Edikt, in dem er vom „pestilenzischen Gift in nahegelegenen Orten“ sprach und von der Sorge, dass „solch Übel bei uns urplötzlich und ehe wir das gewahr werden einreißen möchte“.
Was also tun? Zunächst sollten die Seelsorger, Kirchendiener und überhaupt alle Christgläubigen Bußpredigten halten. Man hielt die Pest für eine Strafe Gottes, der schon seine Gründe hatte. Das katholische Mittelalter hatte geglaubt, dass Gott Seuchen als Strafe oder zur Prüfung der Menschen schickte, und daran hatte sich in den protestantischen Territorien eigentlich wenig geändert. Als tiefste Ursache der Seuchen galt die „Verstocktheit“ der Menschen. Sie waren verhärtet, sie wollten nicht hören, sie waren taub gegen alle auf ihre Besserung zielenden Belehrungen. Deswegen musste zunächst und vor allem anderen gebetet werden, auch in Wertheim. Aber es gab auch praktische Verhaltensmaßregeln, die Graf Ludwig seinen Untertanen nun einschärfte. Deren Wichtigste kennen wir schon: Kein Kontakt mit Leuten aus infizierten Orten. Solche Leute durften nicht nach Wertheim hineingelassen werden. Neben den erwähnten Orten wurde 1606 auch vor solchen gewarnt, die „hier nächst angesteckt oder vergift“ werden würden. Damit war natürlich ein doppeltes Problem angesprochen. Erstens musste man sicherstellen, dass man immer wusste, in welchen Orten die Krankheit grassierte. Und zweitens und noch schwieriger: Wie sollten die Stadtwachen damals wissen, woher ein Fremder kam, der in die Stadt wollte? Die Lösung sah man darin, überhaupt nur Leute einzulassen, die nachweisen konnten, aus einer nicht betroffenen Stadt zu kommen. Man brauchte also Reisepässe und Aufenthaltsbescheinigungen, für die später sogar eigene Formulare entwickelt wurden. Einige Risikogruppen sollten überhaupt nicht mehr nach Wertheim eingelassen werden: die Juden, landstreichende Kleinhändler, herrenlose Knechte, Bettler und anderes loses Gesindel. Wie die Wächter an den Stadttoren solche erkennen und etwa von normalen Bewohnern der Grafschaftsdörfer unterscheiden sollten, sagte das Edikt nicht.
Die Tore in der Stadtmauer
Überhaupt war die Abschottung der Stadt nach außen eher Wunsch als Wirklichkeit. Die Stadtmauer war zwar imposant, aber durchlässig. In einem Pestmandat von 1666 heißt es, folgende Tore sollten besonders bewacht werden: Brückentor, Mühlentor, Maintor, Eicheltor und Vaitstor. Das waren die wichtigsten Stadttore. Daneben gab es aber noch eine Reihe von „kleinen Stadttörlein“ (genannt werden: Grünauer Hof, Kapellentor, Brigittentor), die im Normalfall gar keine Wache hatten. Sie sollten nun wegen der Pestgefahr komplett geschlossen gehalten werden. Diese Anordnung zeigt im Umkehrschluss, dass die Trennung zwischen Stadt und Land normalerweise eher eine Fiktion war. Die Hoffnung der Obrigkeiten, mit Hilfe der Stadtmauern die fremde und gefährliche Außenwelt von der geordneten und gesicherten Welt innerhalb der Stadt trennen zu können, trog. Das zeigte auch der nächste Punkt in Graf Ludwigs Pestedikt von 1605. Er richtete sich direkt an die Stadtbürger: Die „Misten“ in der Stadt sollten abgeschafft werden. Kein „Kehricht, Gassenmist oder andere stinkende Unlust“ sollte über Nacht in den Gassen liegen bleiben. Die „Mistplätze“ vor den Haustüren waren im 17. Jahrhundert ein Dauerstreitthema zwischen Obrigkeit und Bürgern. In den Mauern der Stadt lebten mit den Menschen auch zahlreiche Schweine und Rinder, und deren Ausscheidungen wurden meist einfach vor der Tür der Häuser zwischengelagert. Das war anderswo genauso und auch immer wieder Thema in den Pestmandaten. In Würzburg etwa wurde 1585 angeordnet, „dass alle Misthaufen auf den Gassen, Straßen und Plätzen aus der Stadt geschaffet und die Mistgruben eingeebnet werden“. Zu den „Misten“ und dem Gestank von Dung und Kot kamen noch die Ausdünstungen der Gerber, Seifensieder, Färber und Metzger in der Stadt. Es muss bestialisch gestunken haben. Dabei galt reine Luft damals als Mittel der Wahl gegen die Pest. Man glaubte, die Krankheit würde durch Gerüche und Ausdünstungen übertragen und ahnte also durchaus etwas über den Zusammenhang zwischen Pest und Hygiene. Was man nicht ahnte war, dass der Erreger der Krankheit vorzugsweise in Flöhen saß, die wiederum gerne auf Ratten lebten. Man wusste nicht, woher das „Pestgift“ kam, vermutete aber als Verursacher irgendeine Form von Unreinheit. Noch im 18. Jahrhundert wurde deshalb das Reinlichkeit und Lüften der Zimmer beim Umgang mit Pestkranken empfohlen. Bevor man ins Krankenzimmer ging, sollte man Hände, Schlagadern und Nasenlöcher mit Rosenessig benetzen. Auch das Pestedikt von 1605 enthält noch eine weitere Regel, die mit Reinlichkeit zu tun hat. Gebrauchte Kleidung und Betten sollten nämlich nur gekauft werden, wenn sie aus unverdächtigen Orten stammten – auch dies ein Hinweis, dass man um die Bedeutung der Hygiene wusste. Andererseits aber eben nicht genug. Denn dass die eigentliche Gefahr von den Flöhen ausging, die in Kleidung und Betten hausten, wusste man nicht. Es folgte noch eine Regelung zum Umgang mit kranken Fremden: Wenn sie am Stadttor nach Arzt oder Apotheker verlangten, sollten diese umgehend benachrichtigt werden, ohne aber die Kranken in die Stadt zu lassen. Die Anordnungen von 1605 sind typisch für den damaligen Umgang mit der Pest. Genau so wurde immer verfahren, wenn Pestfälle gemeldet waren. In diesem Jahr scheint es nicht zu einem Ausbruch der Pest in der Grafschaft Wertheim gekommen zu sein. Dies dürfte allerdings weniger an den ergriffenen Maßnahmen als an der Jahreszeit gelegen haben. Das Pestmandat des Grafen Ludwig stammt nämlich aus dem Dezember 1605, und im Winter kamen Pestwellen regelmäßig zum Erliegen. Vermutlich lebten im Winter einfach weniger Flöhe auf den Ratten, die die Pesterreger übertrugen.
Weitere Pestwellen
1607 halfen die Abschottungsmaßnahmen nicht und die Pest brach in Wertheim aus. Damals müssen viele Wertheimer gestorben sein, denn die drei Stadtpfarrer machten sich Gedanken über die Bestattung der Pesttoten: Beerdigungen sollen wochentags um 15 Uhr stattfinden, wenn man zur Vesper läutet, mit nur kurzer Leichenpredigt. Es wird jedermann freigestellt, ob er mit zum Grab gehen will oder nicht. Vermutlich aus demselben Jahr stammt eine Liste des Stadtschultheißen über Erkrankte und Tote am Abend des 30. Oktober. Die Pest herrscht im Haus des Büttners Georg Schöntal, der als einziger aus seinem Haus noch am Leben ist. Der kleine Sohn von Wolf Stahl ist ebenso gestorben wie Frau und Tochter des Schneiders Christoph Sauer. Erkrankt sind der kleine Sohn des verstorbenen Peter Stäub aus einem Haus beim Vaitstor und die Tochter des Zimmermanns Michael Ziegler aus der Knappengasse. Am Vortag hat man die Frau von Lorenz Baumgart beerdigt. Weitere Fälle sind der Fischer Georg Eirich und seine Tochter und ein Sohn des verstorbenen Klaus Schneider. Derartige Listen von Verstorbenen sind in der Wertheimer Überlieferung zur Pest die große Ausnahme. Bekannt ist eine Aufzählung von Pestopfern aus Kreuzwertheim im Jahr 1625, als von 383 Bewohnern 166 starben. Erich Langguth hat sie vor zwei Jahren im ersten Band der Ortsgeschichte Kreuzwertheims ediert. Typischerweise entstand auch diese Liste nicht etwa, weil die Obrigkeit die Zahl der Opfer ermitteln wollte, sondern weil der Kreuzwertheimer Pfarrer im Streit um seine Besoldung auf seine Arbeitsbelastung aufmerksam machen wollte. Er musste die Toten bestatten, unter denen auch seine eigene Frau war. Pfarrer Sigfrid hatte beim „langwehrenden Grassiren der abscheulichen Pest“ bei allen diesen Toten „selbst gesungen und christliche Leichvermahnungen getan“. Beim Pestausbruch in Kreuzwertheim 1625 wurde übrigens auch der Wertheimer Stadtrat aktiv. Er versuchte zu verhindern, dass Wertheimer sich in Kreuzwertheim aufhielten. Wer dies trotzdem tat, sollte zehn Gulden Strafe zahlen und sich acht Wochen aus Wertheim fernhalten. Die Fährleute wurden angewiesen, niemanden aus Kreuzwertheim überzusetzen. In der Praxis war die Anordnung undurchführbar. Woran erkannte man einen aus Kreuzwertheim? Die Fährleute sagten, sie könnten ja nicht alle kennen.
Die Pest näherte sich Wertheim in diesem Jahr auch von der anderen Seite. 1624 war in Reicholzheim der Lehrer Johan Stefan mit Frau und Kindern gestorben, weitere Häuser galten als infiziert. Man hatte die üblichen Maßnahmen ergriffen: Die Häuser wurden abgeschlossen und Reicholzheimern der Zutritt in Wertheim untersagt. Trotzdem kam es Anfang des Jahres 1625 zum Ausbruch der Pest bei Kindern im Wertheimer Tauberviertel, auch zwei Erwachsene starben. Es scheint damals im Tauberviertel viele Tote gegeben zu haben, denn im Mai erließ die Kanzlei ein Dekret, Verstorbene anständig zu beerdigen und nicht „wie Vieh“ zu vergraben. Im Juli gab es eine Anweisung an Barbiere, Bader und Hebammen, den Erkrankten zu helfen „und mit ihrer Kunst dienstlich zu sein.“ Die Erfahrung lehre, dass „Gott sonderlich die jenigen, welche ihrem Beruf nachkommen, behüten tut.“
Bader, Barbiere, Apotheker – Krankenversorgung in Wertheim
Das war schön gesagt. Aber die Quellen zeigen die Schwierigkeiten, überhaupt „Pestbediente“ zu finden, also Leute, die sich um die Versorgung der Kranken kümmerten. Sie wurden aber unbedingt gebraucht, um die Bewohner der nach einem Pestfall von außen versperrten Häuser zu versorgen. Die Bewohner durften ihre Häuser nicht verlassen, sie standen unter Quarantäne. Dies war das übliche Verfahren, das in Wertheim genauso angewandt wurde wie zum Beispiel in Würzburg. Die Bewohner und Kranken in den gesperrten Häusern mussten natürlich irgendwie mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt werden. Im Tauberviertel sollte dies 1625 der Totengräber übernehmen. Im Oktober 1626 erließ die Kanzlei der Grafen von Löwenstein-Wertheim ein Dekret an die Stadt Wertheim „wie es mit den inficirten Häusern und Personen gehalten werden soll“. Die Stadt ernannte daraufhin den Ratsherrn Michael Stierl und den Bürger Alexander Müller zu „Pestbeauftragten“. Die beiden hatten sich darum zu kümmern, dass die Erkrankten (und die anderen Bewohner der infizierten Häuser) mit allem Notwendigen versorgt wurden. Der Umgang mit der Seuche vor Ort war also Sache der Stadt. Mit der Frage nach der Zuständigkeit erhebt sich bis heute die Frage nach dem Kostenträger. Damals meldete die Stadt der Kanzlei, dass sie die Kosten nicht tragen könne. Ihr Vorschlag war deshalb, den beiden Deputierten das während der Gottesdienste „mit dem Schellen Säcklein“ gesammelte Geld zu übergeben. So wurde es tatsächlich gemacht. Dieses Geld, das normalerweise dem Almosenmeister übergeben wurde, diente nun der Versorgung der Pestkranken.
Almosen, Siechenhaus und Geburtshaus
Das Almosen, für das hier im Gottesdienst gesammelt wurde, war keine Kasse der Stadt, sondern gehörte den Grafen zu Löwenstein-Wertheim. Der „Almosenmeister“ zahlte daraus Unterstützungen an Bedürftige, deren Armut von der Kanzlei anerkannt worden war. Geld aus dem Almosen floss auch ins „Siechenhaus“ an der Vockenroter Steige. Es war im Jahr 1486 vom Stadtschultheiß und seiner Frau gestiftet worden und wurde von einem Bediensteten der Grafen verwaltet. Das Siechenhaus diente auch als Wertheimer Pestspital (während das Hospital damals eher ein Heim für Alte und Bedürftige war). Es lag außerhalb der Stadt, so dass man erkrankte Arme hier isolieren konnte. Die medizinische Behandlung der Pestkranken übernahmen die Wundärzte oder Barbiere, fachkundige Männer also, die aber nicht über ein akademisches Studium der Medizin verfügten. Einen akademischen Arzt gab es damals in Wertheim mit Dr. Jost Kraft auch, er tritt aber im Zusammenhang mit der Pest nicht in Erscheinung. Zu den Tätigkeiten der Barbiere gehörte das Schröpfen, also das Aderlassen, um giftige Säfte aus dem Körper zu entfernen. Barbiere mussten auch die Pestbeulen aufschneiden. In den Jahren 1625 bis 1630 lassen sich in Wertheim sechs Barbiere nachweisen. Unter ihnen Hans und David Wacker, vermutlich Söhne des Apothekers Sebastian Wacker. Besonders aktiv bei der Behandlung der Kranken war der Barbier Peter Schaller. Er übernahm auch die Aufgabe, die isolierten Infizierten mit Essen zu versorgen. 1627 beschwerte er sich, „als die Infection vor einem Jahr allhier zimblich grassiert, hab ich mich bei Dag und Nacht unverdrossen bei den Patienten finden lassen ...“. 1633 bekam Schaller schließlich aus dem Almosen fünf Malter Korn, vielleicht für seine Bemühungen um die Pestkranken. Eine weitere Person, die mit Pestkranken zu tun hatte, war die Hebamme Apollonia Clement. Sie wohnte in einem städtischen Haus „An den Hespeln“, einem Durchgang hinter dem ersten Haus der Brückengasse. 1627 beklagte sie sich über Mietzahlungen für dieses Haus, obwohl sie dort auch Pestkranke behandele. 1625 hatte sie zehn pestkranke „Weiber“ im Haus, von denen sieben starben und also nichts zahlten. 1626 hatte sie elf Pestkranke, von denen fünf bezahlt hatten. Vielleicht kann man sich unter diesem Haus so etwas wie ein städtisches Geburtshaus für bedürftige Frauen vorstellen. Apollonia Clement geriet 1629 in die Hexenverfolgung und wurde verbrannt.
In den 1620er Jahren gab es Pestmeldungen aus ganz Europa. Nach Danzig und Bremen erwischte es Lübeck und London, 1628 Augsburg, 1630 Venedig und Mailand. 1630 war die Pest dann auch wieder in der Stadt Wertheim. Damals gelang es nicht, die angeordnete Isolierung der Kranken durchzusetzen, die im Gegenteil auf den Straßen herumspazierten. Die Kanzlei stellte fest, dass „die infizierten Personen ungescheut auf der Gasse sich befinden“ und damit die Ansteckung der ganzen Stadt riskierten. Besonders ungünstig war dabei Niklas Heim aufgefallen. Deshalb befahl die Kanzlei dem Amtmann, Heims Haus von außen mit einem Schloss zu versehen und ihm das Essen durch die dafür bestellten Leute reichen zu lassen.
Die Pestwelle von 1632 bis 1637
Im August 1632 wurde dann wieder eine Pestwelle gemeldet, die den Main heraufkam. Die Kanzlei reagierte mit den bekannten Maßnahmen. Alle Nebentore sollen gesperrt werden und den Bewohnern der infizierten Städte (Freudenberg, Miltenberg, Lohr, Prozelten, Reistenhausen) der Zugang nach Wertheim verboten werden. Die Stadt meldete der Kanzlei, sie habe zur Verhinderung der Ausbreitung der Pest „Träger, Barbiere und Wärter“ bestellt, die Unterhalt und Sachen aus der Apotheke bräuchten. Die Stadt bat erneut darum, für diese Ausgaben das Geld benutzen zu dürfen, das sonn- und feiertags in der Kirche gespendet wurde. Der Notfallplan der Verwaltung lief ab, wie wir ihn bereits kennen. Im Oktober 1632 war die Pest im Haus von Alexander Müller, dessen Junge sich nicht an die Quarantäne gehalten und das Haus von Michael Hafner angesteckt hatte. Pest auch im Haus von Hans Frischmuth und beim Büttner Niklas Heim (alles im Oktober). Die Unterlagen sind in diesem Jahr voller Befehle an Infizierte, ihre Häuser nicht zu verlassen. Die Erkrankten dagegen verfassten Bittschriften, genau dies tun zu dürfen. Manch einer behauptete, zwar krank zu sein, aber nicht die Pest im Haus zu haben, sondern eine andere Krankheit. Bei Todesfällen kam es zu Streitigkeiten über die Todesursache. Deutlich wird hier ein zentrales Problem der Pestbekämpfung durch Isolierung: Die Menschen widersetzten sich der Isolierung und versuchten zu vermeiden, als Bewohner eines infizierten Hauses zu gelten. Deshalb wurden Krankheitsfälle nicht gemeldet oder als eine andere Krankheit deklariert. Zum Winter hin gab es dann Anzeichen, dass auch diese Pestwelle abflaute. Im Oktober 1632 bat die Familie des Gewürzhändlers Niclaus Stahl um Aufhebung der Quarantäne, weil sie wieder gesund sei. Es wurde genehmigt, Stahl durfte sein Geschäft wieder aufmachen, sollte aber noch größere Zusammenkünfte meiden. So hielt man es auch in Würzburg: War ein Pestkranker symptomfrei, musste er noch einen Monat im Haus bleiben und sich einen weiteren Monat von Menschenansammlungen (Kirche, Markt, Wirtshaus) fernhalten. Im November meldete sich Handelsmann Alexander Müller, der mit Frau und Kind wegen der Pest sein Haus am oberen Marktplatz verlassen hatte. Sie hatten einen Monat bei Verwandten auswärts zugebracht und wollten nun wieder zurück. Auch der Zöllner Friedrich Weimar hatte sich mit seinen kleinen Kindern drei Monate lang außerhalb der Stadt aufgehalten. Nun waren sie alle wieder „frisch und gesund“ und wollten zurück in die Stadt. Die Kanzlei der Grafen von Löwenstein-Wertheim erlaubte ihm dies mit dem Hinweis, dass er „sich selbsten wohl in acht nehmen solle“. Auch die Badehäuser, die bei Epidemien immer geschlossen wurden, öffneten im Laufe des Jahres wieder. Im Badehaus in der Eichelgasse waren der Bader Leineweber und seine drei Kinder an der Pest verstorben. Auch seine Frau Margaretha war krank gewesen, hatte sich aber wieder erholt. Im Mai des Jahres 1633 fragte sie an, ob sie das Bad wieder öffnen könne. Die Kanzlei stimmte zu mit dem Argument, in ihrem Haus sei nun schon länger keiner mehr krank gewesen. So dürfte die Badestube in der Eichelgasse damals wieder geöffnet haben, nun sogar betrieben von einer Frau. Die Pest allerdings hatte Wertheim keineswegs endgültig verlassen. Im August 1633 kam die nächste Meldung über einen Krankheitsfall, diesmal aus Gamburg. Bis 1637 gab es immer wieder Pesttote in der Stadt. 1635 erwischte es auch den mehrfach erwähnten Kaufmann Alexander Müller und seine Frau. Sie blieben nicht die letzten Opfer, die diese Geißel der Menschheit in Wertheim fordern sollte.
Druck: Messebeilage der Fränkische Nachrichten, 28. September 2013