Ein Leben für die Heimatgeschichte

Stadtarchivar Otto Langguth heute 75 Jahre alt [1953]

Im benachbarten Kreuzwertheim begeht heute Stadtarchivar Otto Langguth seinen 75. Geburtstag. Als Gründer und langjähriger Leiter des Historischen Vereins, nicht weniger als unermüdlicher Erforscher der Geschichte von Stadt und Grafschaft ist der Jubilar weit über die engeren Grenzen hinaus bekannt und geachtet. Ein schweres Augenleiden, das ihm vorübergehend die Feder aus der Hand nahm, hat seine Schaffenskraft überwinden können, so daß sich mit herzlichen Glückwünschen zu diesem Tag die feste Hoffnung verbindet, es möge der Heimatgeschichte noch manche Frucht aus dieser Tätigkeit geschenkt werden.

Am 11. August 1878 wurde Otto Langguth als Sohn des Kaufmanns und späteren Kommerzienrats Wilhelm Langguth im Haus Eichelgasse 15 geboren. Schon der Tertianer des hiesigen Gymnasiums offenbarte Anlage und Neigung, als er mit Eifer an der Einrichtung der "Dr. C. Schierenbergschen Stadtbibliothek" mitwirken konnte, die am 1. Juli 1894 ihre Pforten öffnete. Jedoch forderte die Familientradition den Eintritt in die kaufmännische Laufbahn, die über die Handelsabteilung der Gewerbeschule zu einer umfassenden Ausbildung, zumeist auswärts und im Ausland erworben, führte. Wiesbaden, Erfurt, Amsterdam, Antwerpen und schließlich Paris sind die Stationen; hier wird die große Weltausstellung des Jahres 1900 ebenso zum bildenden Erlebnis wie die Kunstschätze der berühmten Museen und Gemäldegalerien, die das Auge des Historikers schärfen und weiten.

So nimmt es nicht wunder, daß Otto Langguth, 1902 in die Heimat zum Eintritt in die elterliche Firma zurückgekehrt, alsbald neben seiner beruflichen Tätigkeit eine Sammlungsbewegung aller Kräfte der Heimatpflege in die Hand nimmt. Im April 1904 tritt der Historische Verein "Alt-Wertheim" ins Leben. In der wiederhergestellten Kilianskapelle wird jetzt die städtische "Altertumshalle" zum Wertheimer Heimatmuseum ausgebaut. Weitreichende persönliche Beziehungen, vor allem zu den Vertretern der staatlichen Denkmalpflege, kommen diesem Unternehmen genau so zugut wie der Verschönerung des Stadtbildes, die in diesen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ihre große Zeit erlebt. Die Fachwerkhäuser, deren Anblick bis heute den altertümlichen Reiz der Stadt mitbewirkt, werden freigelegt.

Eine Tat, buchstäblich in letzter Stunde, ist die Rettung der bäuerlichen Volkstrachten unserer Gegend vor dem völligen Untergang. In den Dörfern der Grafschaft vor dem Spessart, dem Land der "Grünkittel", ist Otto Langguth ständiger Gast; wenige aber treue Helfer bringen die Tracht unter der Bevölkerung selbst wieder zu Ehren, so daß Michelrieth, Glasofen, Eichenfürst heute noch zu diesem Erbgut halten. Für eine museale Ausstellung in Wertheim aber wird das Vereinshaus, Rathausgasse 7, erworben. Die zwei ersten Gaben wissenschaftlich-schriftstellerischen Wirkens behandeln die Entdeckung und Deutung der "Vier Gekrönten" und in eingehender Weise die Untersuchung über "Unsere Volkstrachten".

In langjähriger, oft mühseliger Arbeit gelingt es, auch die einstige Marienkapelle wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückzugeben. Mit ihrer Einweihung 1927 sind die wichtigsten auf dem Gebiet der Denkmalpflege gesteckten Ziele erreicht. Mehr und mehr wendet sich Otto Langguth der Erforschung heimischer Geschichte in erstmals eindringender, oft kleinteiliger Quellenarbeit zu. Die archivarische Tätigkeit wird jetzt auf der Höhe des Lebens zum Hauptberuf, und in der Stille reifen langsam und stetig die Früchte, die die Grundlage überhaupt erst zu einer künftigen Wertheimer Geschichtsschreibung schaffen. Eine erste Probe sind die "Quellen zur Schulgeschichte der Grafschaft Wertheim" (1937).

Die reichhaltige Materialsammlung geht aus von der Familiengeschichte. Auf Tausenden von Blättern wird der Inhalt von Kirchenbüchern, Leichenreden und unzähligen Akten übertragen und aufgeschlüsselt; es entstehen die Einwohnerkarteien vergangener Jahrhunderte, die nur selten eine Auskunft versagen. Nur auf diesem Fundament aber war es dann auch möglich, mitten im Zweiten Weltkrieg mit der längst notwendigen Neuordnung des Stadtarchivs zu beginnen, die nun auch hier sicheren Boden bereitet hat. Hand in Hand damit wuchs die in ihrer Art einzig dastehende Registerarbeit an der bereits vorhandenen Heimatliteratur, zuletzt gekrönt in fünf Nachkriegsjahren durch das Gesamtinhaltsverzeichnis zu den 34 Jahrbüchern des Historischen Vereins, ein Werk, dessen Drucklegung in absehbarere Zeit bevorsteht.

Überblickt man dieses lebenslange Wirken des Jubilars, so mag als das bedeutendste Moment für unsere immer schnellebiger werdende Gegenwart erscheinen, daß hier die Einsicht in die Geschichte eine beharrende Kraft geworden und geblieben ist, die das Erbgut der Väter weiterreicht.

Veröffentlicht am 11. August 1953 in „Main-Tauber-Post“ Nr. 183