Die Kanzlei der Grafschaft Wertheim befand sich traditionell auf der Burg. Oben auf der Burg lag das Machtzentrum, von dort wurde die Grafschaft regiert und dort hinauf mussten Bürger und Untertanen, wenn sie etwas von den Regierungsräten wollten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Kanzlei dann in die Stadt verlegt. Der genaue Zeitpunkt ist unklar, aber nun gab es eine „alte“ Kanzlei auf der Burg und eine „neue“ in der Stadt. Interessant ist deren Lage: Die Kanzlei bekam Räumlichkeiten in unmittelbarer Nähe des damaligen Rathauses (heute Grafschaftsmuseum), vielleicht sogar darin. Bürgermeister, Stadtrat und die Regierungsräte der Grafen saßen damals also recht eng aufeinander.

1617 wurde die Kanzlei um zwei Stuben erweitert. Die neuen Räume mussten beheizt werden, und daraus ergab sich ein interessanter Konflikt. Für den Einbau von Öfen war damals ein heute fast vergessenes Handwerk zuständig: die Häfner. Die Häfner machten Gefäße aus Ton und setzten Kachelöfen. Sie bildeten auch in Wertheim eine eigene Zunft. Und in die Wertheimer Häfnerzunft wollte 1617 Lienhard Ott aufgenommen werden.

Eigentlich standen seine Chancen ausgezeichnet. Lienhard war der eheliche Sohn eines Wertheimer Häfners und von diesem ausgebildet worden. Dann war er zwei Jahre auf Wanderschaft gewesen. Und schließlich waren in Wertheimer vier Häfnermeister mit eigenen Werkstätten vorgesehen, von denen damals aber nur drei aktiv waren. Platz für die Werkstatt Ott wäre also schon gewesen, nur das Meisterstück fehlte noch. Ott versprach im August 1617, das Meisterstück anzufertigen, und wollte dann als Mitglied der Häfnerzunft mit seiner Werkstatt loslegen. Die Zunftmeister hatten nichts dagegen. Schließlich stammte Ott aus einer Wertheimer Familie, und in einem solchen Fall konnte man natürlich viel eher von sittlicher Eignung ausgehen, als bei einem Fremden.

Ott machte nun sein Meisterstück über den Winter 1617/18, indem er in der neuen Wertheimer Kanzlei die Öfen setzte. Aus Sicht der Grafen war dies eine meisterliche Idee, weil sie Kosten sparte, und auch die Regierungsräte dürften nicht geklagt haben, weil sie nun heizen konnten. Nur die Zunftmeister hatten nun doch etwas dagegen, weil sie sich übergangen fühlten. Nach der Zunftordnung, so meinten die alten Meister, müsse man zunächst ein Modell einreichen, das die alten Meister dann approbierten. Ohne Modell kein Meisterstück. Ott aber hatte den Ofen ohne Modell gebaut. Wenig überraschend ergab eine Besichtigung des Ofens durch die Meister „vielfältige Mängel“. Die oberen Zeilen, Gesims, Kapitelle und Säulen waren voller Fehler, alles schief und nicht richtig ausgerichtet. Als schwersten Einwand gegen den Ofen führten sie Sicherheitsbedenken an: Ob er überhaupt Feuer aushalte, sei unklar. Sicherheitsbedenken sind ja bis heute das ideale Mittel, um etwas zu boykottieren.

Aber Ott wusste sich zu wehren. Er beschwerte sich nicht nur bei der Kanzlei über Missgunst und Bosheit der Häfnermeister, sondern wandte sich auch direkt an die Grafen. Tatsächlich erreichte er nach einigem Hin und Her einen ausdrücklichen Befehl der Grafen an die Kanzlei, dem Ott seinen Wunsch zu erfüllen. Graf Wolfgang Ernst schrieb noch eigenhändig dazu, das Meisterstück könne passieren.

Interessant! Der Graf machte sich sozusagen selbst zum obersten Chef der Prüfungskommission der Wertheimer Häfner, obwohl er – das darf wohl vermutet werden – von der Häfnerei gar keine Ahnung hatte. In der Zunftordnung war dergleichen nicht vorgesehen. Und die Kanzlei hatte noch andere Einwände. Sie wollte nämlich selbst entscheiden und sich nicht im Nachhinein von einzelnen Grafen hineinreden lassen. Deshalb erinnerte sie die Grafen nun daran, dass in den Wertheimer Verträgen festgelegt sei, dass alles dasjenige, was nach „fleißigem Erwägen bedacht“ und von der Kanzlei beschlossen worden sei, vollzogen werden müsse und auch von einzelnen Grafen daran nichts korrigiert oder verändert werden dürfe. Eine Ausnahme gab es nur, wenn ein gemeinsamer Beschluss aller Grafen vorlag.

So führte der Ofen des Lienhard Ott direkt zu der Frage, wer in der Grafschaft eigentlich das Sagen hatte. Das Ganze endete dann, wie meist in der Grafschaft Wertheim, ganz friedlich, indem die vorgebrachten großen Argumente irgendwie verpufften. Lienhard Ott wurde als Meister aufgenommen, durfte eine Werkstatt führen und musste Steuern zahlen. Ob er noch ein weiteres Meisterstück anfertigen musste oder der Ofen in der neuen Kanzlei dann doch akzeptiert wurde, bleibt offen.

Druck: Fränkische Nachrichten 25.8.2015