An dieser Stelle war schon die Rede von einem Sohn Wertheims, der um 1580 in Heidelberg studierte. Hans Konrad Schaff, ein Sohn des Stadtschultheißen, schrieb damals viele Briefe in die Heimat, in denen es vor allem um eines ging: Geld. Schickt mir Geld, so der Tenor. Denn das Leben eines Studenten in Heidelberg war teuer. Umsonst war die höhere Bildung auch in Wittenberg nicht zu haben. An der dortigen Universität, berühmt durch ihren Professor Martin Luther, studierten im 16. Jahrhundert mehr als 40 Studenten aus Wertheim. Unter ihnen war auch Michael Köhler, Sohn des Kilian Köhler, der in Wertheim Stadtrat und zeitweise auch Bürgermeister war.
Gelernt hatte er aber wohl nur Hutmacher, und da lag es nahe, dass der Sohn für weiteren sozialen Aufstieg der Familie ein Studium anstrebte. Ab 1571 findet sich Michael Köhler in Wittenberg. Und auch er schrieb zahlreiche Briefe in die Heimat. In ihnen ging es vor allem um eines: Geld. Denn das Leben eines Studenten war auch in Wittenberg teuer.
Köhler begann anscheinend mit den sieben freien Künsten, auch die sieben brotlosen Künste genannt, also dem Studium an der Philosophischen Fakultät. Sein eigentliches Ziel aber war die Jurisprudenz. Vor dem Fach hatte Köhler gehörigen Respekt. In einem Brief an seinen Bruder schreibt er, ein Studioso Juris müsse sich ganz und gar dem Studium ergeben und dürfe keinesfalls Lektionen auslassen, wenn er zu einem gediegenen Wissen gelangen wolle. Köhler hatte auch bereits eine genaue Vorstellung, wie lange einer dafür studieren müsse: „Ich glaub einer müsst schier neun Jahr oder acht hier bleiben ...“
Acht oder neun Jahre, das war natürlich eine lange Zeit. In der „Communitet“, in der Köhler in Wittenberg speiste (Kostenpunkt vier Groschen, dazu drei Pfennig für Bier), traf er auch regelmäßig „Landsleute“ aus der Grafschaft Wertheim wie den Sohn von Niklas Tillmann und zwei aus Dertingen. Bis kurz vor Köhlers Ankunft hatte auch noch einer namens Pfeiffer aus Wertheim dort verkehrt, der war dann aber gestorben. Köhler vermutete: am schlechten Essen in der Burse, und interessierte sich für das Stipendium, das der Pfeiffer aus Wertheim bezogen hatte. Sein Vater sollte dafür sorgen, dieses Geld nun in die Taschen der Köhlers zu leiten.
Geklappt hat das wohl nicht und die Finanzierung des Studiums blieb schwierig. 1572 musste sich Köhler zum ersten Mal Geld beim Buchhändler Samuel Salfisch leihen. Im Jahr darauf schrieb er dem Vater, er habe nun ein halbes Jahr Privatunterricht bei einem Juristen gehabt. Dafür hat er sich einige Bücher vorgenommen und binden lassen, was ihn nicht wenig Geld kostete. Damit ist er wieder beim Thema: Vater, schick Geld. Der Vater sollte auch die Schulden bei Salfisch begleichen. Immerhin scheint der Wechsel zum Jurastudium nun geklappt zu haben.
Und es zog sich wie angekündigt hin. 1576 äußerte Köhler den Wunsch, noch vier weitere Jahre an der Universität zu bleiben. Dem Vater gefiel das gar nicht: „Dünkt mich nit allein zu lang, sondern ist mir auch zu schwer.“ Das bezog sich auf die Kosten, die ihm zu schwer zu tragen waren. Außerdem hatte Kilian Köhler sich fachkundigen Rat geholt. Dr. Johann Koch, damals der wichtigste Jurist in der Grafschaft Wertheim, war der Meinung, ein Jura-Studium brauche sieben Jahre. 4 1/2 hatte Sohn Michael nun schon, blieben noch 2 ½ und keine vier. Vater Köhler war auch generell gegen „lang studiern“. Er mahnte seinen Sohn, fleißiger zu sein. Lange könne er ihn nicht mehr erhalten, maximal zwei Jahre seien noch drin.
Im Studium war Michael Köhler wahrlich nicht der schnellste, dafür machte er privat einen guten Fang. 1578 meldete er seine bevorstehende Hochzeit mit Maria Kanzler, der Tochter eines Wittenberger Bürgers und Ratsherrn, nach Wertheim. Die Brüder Kilian und Konrad und die Eltern wurden nach Wittenberg eingeladen. Verbunden mit der Einladung waren konkrete Wünsche. Die Brüder sollten einen silbernen Becher machen lassen und ihm zur Hochzeit schenken. Es sollte nämlich aussehen, „als meinet ihrs gut mit mir“. Es ging wohl vor allem darum, den Brautvater zu beeindrucken. Der würde sie dann alles entgelten lassen, schrieb Michael Köhler. Und dann sollten sie unbedingt Wein aus Wertheim mitbringen: „Weil mir aber darzu vonnöten eines guten Trunks“. Deshalb sollten die Brüder ein oder zwei Fässer „vom allerbesten“ mitbringen, weil es in Wittenberg überhaupt keinen Wein gab, leider.
Wen wundert’s nach diesem Brief, dass die Brüder darauf verzichteten, an der Hochzeit ihres studierenden Bruders teilzunehmen. Kilian Köhler schrieb, er könne nicht kommen „wegen Ungewitters und der Weite des Wegs“. Durch die sieben Jahre Studium in Wittenberg scheint eine gewisse Entfremdung in der Familie eingetreten zu sein.
Auch die Eltern kamen nicht zur Hochzeit. Vater Kilian bedankte sich für die Einladung, aber leider sei es ihm und der Mutter nicht möglich zu erscheinen. „Ursach wir beide alt und schwach sind, der Weg weit, tiefer Schnee.“ Der Vater wünschte der Verbindung jedoch Gottes Segen und dem Sohn einen fröhlichen Tag mit der anderen Seite der Verwandtschaft.
1580 war Michael Köhler immer noch in Wittenberg. Vater Kilian schrieb ihm am 21. November aus Wertheim: „Wenn Du ja itzund Doctor wärst oder könntest noch in einer kurzen Zeit zum Doctor werden, so begehrt die Herschafft zu Wertheim Deiner zum Diener.“ Ein Wunder – Vater Kilian hatte irgendwie erreicht, dass die Grafen seinem Sohn einen Posten in Aussicht stellten. Nur der Doktor musste vorher noch gemacht werden.
Um die finanziellen Mittel des Vaters stand es immer schlechter. Der Wertheimer Immobilienmarkt lag am Boden. Kilian Köhler wollte seine Häuser (darunter eine Mühle und ein „Häuslein“ am Markt) verkaufen, hatte aber keine Interessenten gefunden. 1581 drehte Kilian Köhler den Geldhahn endgültig zu. Zehn Jahre lang hatte er seinem Sohn das Studium ermöglicht. Was mochte der nun bloß alles in seinem Kopf haben?
Zum Glück trat das Wunder, das sich 1580 angedeutet hatte, tatsächlich ein. Michael Köhler schaffte seinen Doktor, trat 1985 als Sekretär in Dienste des Grafen Ludwig zu Löwenstein-Wertheim und wirkte in verschiedenen Ämtern der Wertheimer Verwaltung. Er starb 1611. Mag sein, dass er um 1600, als die Söhne des Grafen Ludwig in Straßburg studierten, deren Briefe an den Vater in der Kanzlei auf der Burg öffnete. Der Inhalt dürfte ihm bekannt vorgekommen sein: Vater, schick Geld.
Druck: Fränkische Nachrichten 2.3.2013