Jagen war in der frühen Neuzeit eine Tätigkeit des Adels. Man kann geradezu sagen: Wer adelig sein wollte, der musste auch jagen. Die Mainzer Erzbischöfe taten dies in ihren Jagdgebieten im Spessart und luden sich dazu auch gerne Standesgenossen ein. Im August des Jahres 1609 war Graf Ludwig zu Löwenstein unter den Glücklichen, die Erzbischof Johann von Mainz zur Jagd nach Prozelten einlud. „Wohlgeborner lieber Besonder“ begann die im Kurmainzer Jagdschloss Rothenbuch verfasste Einladung, die Graf Ludwig aufforderte, ebenfalls nach Prozelten zu kommen. Er musste sich allerdings für diesen Tag auf „kalte Küche“ einstellen, denn mehr wurde nicht geboten. Das kündigte der Bischof extra an.

Ob der Wertheimer Graf sich tatsächlich auf den Weg mainabwärts machte, weiß man nicht. Immerhin war er mit 69 Jahren schon recht betagt und möglicherweise gar nicht mehr zum Jagen aufgelegt. Vielleicht nutzte er aber doch die Gelegenheit, im Spessart ein geselliges Vergnügen mit dem Mainzer zu erleben. Normalerweise hatte man nämlich dort nur Ärger miteinander.

Denn über den Spessart verlief die Grenze zwischen Kurmainz und der Grafschaft Wertheim. Die Tiere des Waldes pflegten diese offizielle Einrichtung allerdings zu ignorieren. Das jagdbare Großwild wechselte ebenso wild hinüber wie die kleinen Hasen, für die man Fallen aufstellte. Größte Streitereien entstanden, wenn ein Tier etwa auf Kurmainzer Territorium angeschossen wurde, sich dann aber verletzt auf die Wertheimer Markung rettete. Folgten die Kurmainzer Jäger, wurde das Ganze zur Wilderei.

Probleme mit der Wilderei gab es im Spessart immer mal wieder. Ein halbes Jahr nach der eben erwähnten Einladung zur Jagd saßen in Aschaffenburg zwei Höhefelder in Haft. Georg Kaiser, etwa 47 Jahre alt, und Georg Boll, 24, beide auf frischer Tat ertappt von Kurmainzer Forstknechten beim Krebs- und Fischdiebstahl. Georg Kaiser war den Mainzern schon bekannt aus dem Verhör des Wilderers Valentin Kahl, den sie kurz zuvor hingerichtet hatten. Der Kahl hatte angegeben, mit dem Kaiser bei Kredenbach, Heigenbrücken, bei Steinau an der Straße, im Biebergrund und bei Bad Orb auf Fische gegangen zu sein. Man kann sagen: Der ganze Spessart war ihr Revier. Erfolgreich waren sie nach Kahls Aussage nur im Biebergrund und bei Orb. Die im Biebergrund gefangenen Forellen trugen sie direkt nach Frankfurt zum Verkauf. Frische Forellen aus dem Spessart für die Großstadt! Kahl hatte in Aschaffenburg auch ausgesagt, dem Kaiser sechs Gulden als Lehrgeld gegeben zu haben. Wilderei als Lehrberuf – da hatte auch im Verbrechen alles seine Ordnung. Das Entwenden von Fischen galt im damals gültigen Strafprozessbuch Kaiser Karls V. übrigens als einfacher Diebstahl. Die Strafe war trotzdem hart. Wer zum dritten Mal erwischt wurde, der kam an den Galgen. Dort war wohl auch Valentin Kahl geendet, der von seinem Lehrer aus Höhefeld auch das Schießen von Rehen gelernt hatte. Die Strafen bei Wilderei waren grausam: Neben dem Galgen kamen auch Blendung, Handabhacken und Kerkerhaft zur Anwendung.

Was mit den beiden Höhefeldern weiter geschah, ist nicht bekannt. Kaiser selbst gab im Verhör an, als Würzkrämer herumgewandert zu sein und gefangene Fische an die Wirte verkauft zu haben. Der Boll war nur dabei, weil er ihm die Not seiner Familie geklagt hatte, da hatte er ihn einmal mitgenommen. Die Familien waren auch der Wertheimer Kanzlei ganz wichtig. In Aschaffenburg solle man auch an Frau und Kinder denken, schrieb man. Im Übrigen tat man überrascht: So etwas wie diese Wilderei durch die Höhefelder sei ja noch nie vorgekommen. Und auch davon, dass Georg Kaiser früher schon gewildert haben sollte (die Kurmainzer schrieben von „verdächtigem Schießen“), ja sich seit Jahrzehnten als Wilderer im Spessart durch das Leben schlug, auch davon wusste man nichts. Der Ausgang der Geschichte ist nicht bekannt.

Die Wilderer interessierten sich eben so wenig für die Landesgrenzen wie die Tiere. Kurmainz ging das gegen den Strich, Man sann auf Abhilfe und fand die Lösung: Ein Zaun musste her, ein Gatter für das Wild. In der Geschichte wurde ja immer mal wieder versucht, Grenzen durch Absperranlagen unüberwindbar zu machen. So auch 1628 im Spessart für Keiler, Sauen und das Rotwild. Im April berichtete der Wertheimer Forstmeister, „daß der (Kurmainzer) Jägermeister zu Lohr nunmehr befelch, einen Zaun und Graben rings umb die Grenz machen zu lassen“. Am Montag darauf sollte Baubeginn sein zwischen Breitenbrunn und Lohr, das Amt Prozelten sollte verantwortlich sein für den Bau zwischen Faulenbach und dem Baumgartshof, das Amt Aschaffenburg bis nach Lohr.

Aus heutiger Sicht ein ziemlich ambitioniertes Vorhaben. Eine Sperranlage quer über den Spessart! Aber das löste damals in Wertheim keine größere Verwunderung aus. Vielleicht, weil man dergleichen Anlagen von anderen Territorien schon kannte. Die Reichsstadt Rothenburg etwa hatte ihr Gebiet mit einer ähnlichen „Landwehr" umgeben, deren Spuren hier und da bis heute sichtbar sind. Keine größere Verwunderung also in Wertheim. Aber man achtete natürlich darauf, dass bei diesem Zaunbau die eigenen Rechte nicht geschmälert wurden. Deshalb erging Anweisung, alle Orte, Höfe und Mühlen im Spessart, die durch den Zaun „Beschwernus“ haben, sollten genau aufschreiben, worin der Schaden bei Waidgang, „Beholzung“ und anderem genau liege. Außerdem wollte man herausfinden, ob von Seiten Würzburgs – der dritte große Territorialherr im südlichen Spessart – etwas „gegen dieses neuwertich Werk“ unternommen werden sollte.

Größere Beschwerden von Seiten der Wertheimer Untertanen gegen den Zaunbau blieben allerdings aus. Er scheint sie nicht groß gestört zu haben. Im Gegenteil beteiligten die Schollbrunner sich gegen Bezahlung an der Errichtung des Zauns.

Das Kurmainzer Gatter wurde also gebaut. Im Juli 1628 berichtete der Schultheiß von Kredenbach über „den neugemachten mainzischen Zaun im Spessartwald“. Er hatte den Zaun von Steinmark bis Schollbrunn umritten und festgestellt, dass der Zaun hinreichend vom „gemein Holz“ entfernt war. An vielen Bäumen innerhalb des Zauns fand der Schultheiß als Besitzzeichen das mainzische Rad „mit Röte“ angebracht.

Im Jahr darauf gab es dann doch Beschwerden über den Zaun. Drei Einwohner aus Steinmark beschwerten sich, der „Spessarder Wald" sei von Kurmainz „verzäunt" worden, damit die wilden Tiere nicht mehr auf Wertheimer Gebiet wechseln konnten. Grund für den Zaunbau war also nach Meinung der Steinmärker ganz klar die herrschaftliche Jagd. Mainzer Hirsche und Wildschweine sollten nicht mehr auf Wertheimer Gebiet gelangen und dort geschossen werden können. Nebenbei bemerkt: Andersherum ging dies nun auch nicht mehr. Die Steinmärker akzeptierten diese Begründung und hatten nichts Grundsätzliches gegen das Sperrwerk im Spessart einzuwenden. Sie störten sich an etwas anderem. Denn der Steinmärker Bürgermeister zwang sie, sich an der Reparatur des Zauns zu beteiligen. Als Sebastian Hirtenstab im Frühjahr im Wald gehütet hatte, waren von dem Zaun etliche „Planken oder Zaunstecken" abgefallen. Auf Geheiß des Bürgermeisters sollte Hirtenstab den Schaden reparieren. Das Ganze hat sich kürzlich wiederholt: Bretter waren abgefallen, und der Bürgermeister hat einigen Steinmärkern die Reparatur befohlen. Nun war Steinmark ein Dorf der Grafschaft Wertheim , die erst zehn Jahre zuvor die Reformation eingeführt hatten. Aber Steinmark war auch unmittelbares Grenzgebiet zu Kurmainz und offenbar gab es noch eine erhebliche Zahl Kurmainzer Untertanen im Ort. Über den Bürgermeister heißt es in dem Schreiben, er halte es mehr mit den Mainzischen. Die Arbeit am Zaun war übrigens nur ein Beschwerdepunkt in dem Schreiben, ein anderer betraf die Erhebung der Steuern zur Finanzierung des Krieges und der Truppen – wir befinden uns ja mitten im 30jährigen Krieg. Auch hier hielt es der Bürgermeister mit Kurmainz und gab das Geld entsprechend weiter.

So gesehen, waren die Grenzen im Spessart auch in diesen Jahren noch nicht eindeutig. Und das, obwohl ein Zaun errichtet worden war. Aber der sollte ja auch mehr für die Tiere sein. Immerhin können wir uns aus den Beschwerden der Steinmärker ein Bild von dem Zaun machen: Ein Holzzaun, bestehend aus Brettern und Planken, die immer mal wieder herunterfielen.

Druck: Fränkische Nachrichten 16.3.2012